Als die MS Lofoten 1964 ihren Dienst in der Hurtigruten-Flotte an der norwegischen Küste antrat, hätte wohl keiner geahnt, dass daraus eine geradezu liebevolle Beziehung zwischen Schiff und Reisenden erwachsen würde. In den 60er Jahren war sie noch lediglich ein Schiff, gebaut in der Manier der Zeit, wenn auch mit einigen Extras in punkto Ausstattung und Design. Viel wichtiger aber: die Strecke, an der sie ihren Dienst antrat, die Reichsstrasse Nr. 1.
- Mancini, Christiano (Autor)
MS Lofoten der Hurtigruten – Auf dem Wasser an Norwegens Küsten entlang
Allein aus dieser Bezeichnung lässt sich ableiten, dass der regelmässige Verkehr zwischen Bergen in Westnorwegen und Kirkenes an der russischen Grenze zunächst nicht als touristischer Leckerbissen konzipiert war, sondern als schnöder Pendelverkehr um die Versorgung Nordnorwegens mit Post und sonstigen Gütern zu gewährleisten. Reisende profitierten von der erheblich verkürzten Reisedauer auf dem Seeweg, wo man vorher über Tage oder sogar Wochen auf dem Landweg unterwegs war. Inzwischen hat sich das Verhältnis aus zu transportierenden Gütern und mitreisenden Passagieren gänzlich umgedreht. Und doch hat die MS Lofoten nichts von ihrem Zauber eingebüsst, dieser Mischung aus Arbeits- und Passagierschiff gepaart mit einem Stück maritimer Zeitgeschichte.
Wer das Schiff betritt, sieht sich vergeblich nach einer Gangway moderner Kreuzfahrtschiffe um, der kleine Steg aus Metall, der in jedem Hafen den Matrosen angereicht wird, ist die einzige wacklige Option um an Bord zu kommen. Dem Nostalgiefreund geht im Inneren des Schiffes das Herz auf. Alte Holzplanken, niedrige Decken, enge Winkel, Messinggeländer und allerhand Deko-Objekte aus der Geschichte des Schiffes. Auf der „Lofoten“ verschwimmt das Urlaubsleben der Passagiere mit dem Arbeitsleben der Crew.
Lebensmittelkisten stapeln sich dort, wo sich auch die Reisenden ihren Weg durch das Schiff bahnen, auf der Brücke kann man durch eine Glasscheibe getrennt fortwährend dem Kapitän über die Schulter schauen und auch ein Plausch mit den Crewmitgliedern ist hier Normalität. In den Kabinen lernt man schnell die Lektion wie das Reisen zu Grossmutters Zeiten war. Rohre liegen hier gerne mal Aufputz, Toilette und Dusche teilt man sich mit dem Nachbarn und auch Steckdosen sind im minimalistischen 12-Tage-Zuhause Mangelware. Wer dachte auch 1964 daran, dass wir im 21. Jahrhundert geradezu im Dauerbetrieb elektronische Geräte aufladen müssen. Wer eine der Kabinen mit mehr Luxus ergattern möchte, muss bereits lange vor seinem angedachten Reisetermin per Buchung zuschlagen.
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Den Passagier der MS Lofoten kümmert dieser mangelnde Comfort allerdings wenig, denn er hat eine gänzlich andere Urlaubserwartung als der klassische Kreuzfahrttourist dieser Tage. Ruhe und Natur heissen die Highlights der 12-tägigen Reise. Und in Sachen Natur hat Norwegen einiges zu bieten, denn wer kennt sie nicht, die vielgelobte und vielbeschriebene Schönheit der Fjorde.
Einhundert davon lernen die Passagiere in zwölf Tagen kennen, je nach Jahreszeit mit besonderen Highlights.
Im Frühjahr lockt der Lyngenfjord, wo in Havnnes, einer alten Handelsstädte im Herzen der Lyngenalpen, die Menschen fahnenschwenkend am Ufer stehen. Da wird gehornt, gewunken und gerufen und zuweilen sogar der ein oder andere Feuerwerkskörper abgefeuert. Wer schon mal gefahren ist, sieht sich im Glückstaumel des Gefühls „nach Hause“ zu kommen, wer neu ist, erlebt den Zauber der ersten Begegnung mit der Liebe der Norweger zu ihrer Hurtigrute.
Im Sommer führt der Fahrplan der Hurtigruten-Schiffe die Passagiere in den Geirangerfjord, der seit 2005 zum UNESCO-Weltnaturerbe zählt. Hier kann es im Sommer sehr voll werden, wenn die Kreuzfahrtriesen hier ankern. Im Vergleich dazu kommt die „Lofoten“ wie ein Beiboot daher, sie könnte sogar nahezu alle Passagiere in einem Rettungsboot eines grossen Kreuzfahrtschiffes unterbringen. Im Geirangerfjord ziehen Wasserfälle und immer wieder neue Felsformation an den Passagieren vorbei. Hier und da entdeckt man auch ein Trollgesicht in den Steilwänden. Die Norweger glauben ja von jeher, dass Trolle im ganzen Land überall dort versteinert sind, wo sie sich nicht rechtzeitig vor dem Sonnenlicht retten konnten. Aber auch um die Wasserfälle „Die sieben Schwestern“, den „Brautschleier“ und den „Bräutigam“ ranken sich Sagen und Geschichten. Verlassene Höfe reihen sich dicht an dicht und man kann erahnen wie mühselig das Leben hier war in den Zeiten der Bewirtschaftung, allerdings mit dem wohltuenden Trost einer grandiosen Natur.
Herbstzeit ist Hjørundfjord-Zeit. Im Herzen der Sunnmøre-Alpen, hat er mit Tourismus nicht viel am Hut. Nur die Hurtigrutenschiffe kommen hier zu Besuch. Beim winzigen Ort Urke wird geankert. Die 35 Einwohner haben eine gute Portion Humor. Am Ufer weist ein Schild nach Downtown. Dabei besteht das Stadtzentrum lediglich aus einer Handvoll Häuser. Schafe sind hier eindeutig in der Überzahl und auf den Wiesen weiden und wiederkäuen sie in norwegischer Gelassenheit. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Im 19. Jahrhundert urlaubte hier der europäische Hochadel, wohlwissend um das Entspannungspotential unberührter Natur. Die liebevoll eingerichteten Zimmer der hohen Herrschaften kann man bis heute im Union Hotel Øye besichtigen.
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Wer zwischendurch ein bisschen städtische Abwechslung braucht, hat in 34 Häfen entlang der Strecke Gelegenheit dazu. Oft sind die Aufenthalte kurz und dienen bevorzugt dazu Ladung zu löschen und neu aufzunehmen, aber in den grösseren Städten ist die Liegezeit ausreichend lang um sich auf einen Rundgang zu begeben. Trondheim, an der Mündung des Flusses Nidelva gelegen, kommt mit seinem Nidarosdom daher, der prächtigen Krönungskirche der norwegischen Könige. Paare küssen sich auf der alten Stadtbrücke und im alten Stadtviertel Bakklandet wandelt man über Hinkelsteingassen an den typisch norwegisch bunten Häusern vorbei, die nicht selten entzückende kleine Cafés beherbergen.
In Tromsø, dem Tor zur Arktis, begibt man sich auf die Spuren der Polarexpeditionen. Hier brachen Polarforscher wie Roald Amundsen und Fritjof Nansen zu ihren legendären Abenteuern auf. Am Fusse des stadteigenen Hausberges thront die Eismeerkathedrale, das Wahrzeichen von Tromsø mit ausgezeichneter Akustik und eigenwilliger Optik. In Kirkenes, dem Wendepunkt der Reise, hat man sich bis auf gut zehn Kilometer der russischen Grenze genähert und wird gewahr, dass hier Norweger und Russen in einem regen und freundschaftlichen Austausch leben. Mittendrin: die Passagiere der „Lofoten“. Die kleine Gemeinschaft, die zu Besuch kommt, aber gleichzeitig auch einen festen Platz im norwegischen Tourismus hat. Sie ist eingemeindet sozusagen.
In Zeiten von Corona ist das Reisen zum Erliegen gekommen. Die norwegischen Tourismusverbände haben sich daher dem Prinzip verschrieben: dream now, visit later! Träumen ist das temporäre neue Reisen, denn es stimmt positiv und steigert die Vorfreude auf einen späteren Besuch.
Gerhard Bank und Alexandra von Gutthenbach-Lindau haben die Reise mit der „Lofoten“ in einem eindrucksvollen Bildband zusammen gefasst. Mehr als dreissig Fotografen haben ihre Archive geöffnet und so wurde eine Sammlung von Aufnahmen zusammen getragen, die nicht nur den Zauber des Schiffes einfängt, sondern die Besonderheit der Tour in ihrer Gesamtheit. Für den Druck holten die Herausgeber eine Bonner Druckerei mit ins Boot, denn die Unterstützung der lokalen Betriebe ist in diesen Zeiten essentiell. Bis zum nächsten Urlaub heisst es also: virtuell reisen in Zeiten des Nicht-Reisens.
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ISBN: 978-3-00-062650-0 / € 49,95 / 128 Seiten mit ca. 135 Abbildungen
Fotoverlag Bank (Fotoverlag-Bank.de)
Ein Gastartikel von Alexandra von Gutthenbach-Lindau. Vielen Dank für den Artikel und die wundervollen Bilder, die Lust auf das Reisen nach Norwegen machen!
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